Martin Berghane
„Obwohl wir uns nur am Bildschirm gesehen haben, hatten wir eine gute Lernatmosphäre und viel aktive Kommunikation."
25.09.2020
Wenn er durch Moskau geht, sagt Martin Berghane, sieht er Leute, die man genauso in Paris, Berlin oder Gelsenkirchen treffen könnte. Und doch läuft dort vieles ganz anders. Als Master-Student im Fach Kulturvermittlung hat er einen guten Blick für die feinen Unterschiede. Und im Corona-Lockdown hat er die Zeit gefunden, endlich ein schon länger geplantes Vorhaben umzusetzen: Russisch zu lernen!
Herr Berghane, Sie haben Russisch 1 – 4 am Stück gemacht. Das bedeutet acht Wochen konzentriertes Lernen im Intensivkursformat. Wie geht es Ihnen?
Gut, danke! (lacht) Ich hatte einfach die Zeit und wollte den Lockdown sinnvoll nutzen. Ich studiere eigentlich Kulturvermittlung in einem deutsch-französischen Doppelmaster in Hildesheim und Marseille. Als die Corona-Pandemie ausbrach und auch in Frankreich die Universitäten geschlossen wurden, musste ich kurzfristig umdisponieren. Russisch stand schon seit längerer Zeit ganz oben auf meiner Liste, deshalb habe ich mich entschlossen, das jetzt in Angriff zu nehmen.
Wie haben Sie den Einstieg in den Russischunterricht am LSI gefunden?
Über einen Onlinekurs. Ich muss zugeben, ich war zunächst skeptisch, ob man eine Fremdsprache komplett digital lernen kann und habe auch nicht alle Kurse sofort gebucht, sondern erstmal nur Russisch 1 gemacht, um zu sehen, wie es läuft. Zu meiner Überraschung hat es erstaunlich gut funktioniert. Der Unterricht lief über die Videoplattform Zoom. Obwohl wir uns nur am Bildschirm gesehen haben, hatten wir eine gute Lernatmosphäre und viel aktive Kommunikation. Es sprach also nichts dagegen, diesen Weg mit Russisch 2 fortzusetzen. Für Russisch 3 bin ich ans LSI zum Präsenzkurs gekommen. Ich bin froh, das auch mal mitgemacht zu haben. Ein Sprachkurs mit realen Personen in einem Raum ist eben doch nochmal kommunikativer und verbindlicher, auch Gestik und Mimik kommen besser zur Geltung. Russisch 4 habe ich im Anschluss wieder online gemacht. Der Wechsel zwischen Präsenz- und Onlinekurs lief dabei reibungslos, auch weil die Lehrkräfte dieselben geblieben sind und mich als Schüler schon gut kannten und einschätzen konnten.
Eine beachtliche Leistung. Es gibt Teilnehmer*innen die alle vier Sprachkurse am LSI am Stück gemacht haben, aber es sind nicht viele. Sie haben eine enorme Menge Wissen aufgenommen, von null auf ungefähr B1+-Niveau am Ende von Russisch 4.
Vielen Dank. Die große Aufgabe wird jetzt darin bestehen diesen Stoff zu halten und gleichzeitig den Wortschatz zu erweitern. Die Menge an Vokabeln, die man in so kurzer Zeit lernen kann, ist einfach begrenzt. Das nachzuholen erfordert zusätzliche Eigenleistung. Ich schreibe mittlerweile viele WhatsApp-Nachrichten auf Russisch und bekomme immer sehr nette Rückmeldungen der Art: „Das war schon fast alles richtig“ (lacht). Ich habe mal gehört, dass Russen ihre Muttersprache für extrem schwierig halten und jedem Respekt zollen, der sich daran versucht.
Was hat Ihr Interesse an der Sprache geweckt?
Vor allem war es eine Mitschülerin im Gymnasium, die nach Moskau gegangen ist, um dort zu studieren. Die habe ich regelmäßig besucht und darüber hat sich das Interesse an der Kultur entwickelt. Sie hat letztes Jahr geheiratet, und ich war zur Hochzeit eingeladen. Solche Erlebnisse führen dazu, dass man Land und Leute besser kennen lernt. 2019 habe ich im Rahmen eines Praktikums Deutsch an der Uni in Minsk unterrichtet. Vor dem deutsch-französischen Doppelmaster hatte ich in Köln schon Musik und Geschichte auf Lehramt abgeschlossen und parallel dazu DaF (Deutsch als Fremdsprache) als Weiterbildungsstudium. Da war ein Pflichtpraktikum vorgeschrieben. Ich habe einfach den Lektor des DAAD kontaktiert und darüber die Stelle in Belarus bekommen.
Wie war Ihr erster Eindruck von der russischen bzw. der osteuropäischen Kultur?
Eine interessante Mischung aus vermeintlich Bekanntem und Fremdartigem! In Moskau zum Beispiel sieht man Leute, die man genauso in Paris, Berlin oder Gelsenkirchen treffen könnte. Im nächsten Moment biegt man aber um eine Ecke und denkt: was ist das denn? Diese Mischung ist sehr spannend und es zeigt, dass es eben doch Dinge gibt, die anders sind, die man nicht auf Anhieb versteht.
Ist die Sprache ein Schlüssel zu diesem Verständnis?
Das ist immer so eine Plattitüde: „Man kann sich mit Sprache ganz anders in die Kultur einfinden“. Aber es stimmt eben auch. Man kommt mit anderen Leuten ins Gespräch, auch solchen, die kein Englisch können. Viele Russen haben einen fundamental anderen Blick beispielsweise auf das Thema Politik. Bei aller Putin-Skepsis war es für mich eine interessante Erfahrung mit Leuten zu diskutieren, die ein vollkommen anderes Koordinatensystem haben. Da zeigt sich dann, dass auch in einer globalisierten Welt ein Thema wie Kulturvermittlung keineswegs obsolet ist.
Was genau versteht man unter Kulturvermittlung bzw. auswärtiger Kulturpolitik?
Auswärtige Kulturpolitik aus unserer Sicht ist im Grunde der Versuch über die Organisation von Kulturveranstaltungen Menschen im Ausland mit der deutschen Kultur in einen Austausch zu bringen. Die Leuchtturm-Institution auf diesem Gebiet ist das Goethe-Institut mit 159 Instituten und Verbindungsbüros in 98 Ländern. Ein weiterer wichtiger Akteur ist das Institut für Auslandsbeziehungen. Dahinter stehen spannende Fragen. Was ist eigentlich das Ziel von auswärtiger Kulturpolitik? Wollen wir eher eine spezifisch deutsche oder eine europäische Kulturpolitik betreiben? Ich denke da zum Beispiel an den TV-Sender ARTE, der ja immer mehr zu einem gesamteuropäischen Sender ausgebaut wird. Und worauf zielt das ganze eigentlich ab? Geht es nur darum, unsere Soft-Power im Ausland zu erhöhen, nach dem Motto „wir sind toll, alle Genies müssen zu uns kommen“? Das interessiert mich persönlich sehr.
Wie sehen Sie Ihre neu gewonnen Russischkenntnisse in diesem Zusammenhang? Ist das eine Art „Wissen auf Abruf“ oder werden Sie die Sprachkenntnisse später beruflich nutzen?
Das hängt von meinem weiteren Werdegang ab. Konkret verfolge ich das Ziel, im nächsten Jahr in Russland ein Praktikum im Bereich Kulturpolitik zu machen. Dazu ist es dringend notwendig, diese Kenntnisse beizubehalten und auszubauen. Ich hoffe, dass es auch nochmal möglich sein wird, einen Sprachkurs in Russland zu machen. Vorab würde ich gerne die TRKI-Prüfung für das Sprachniveau A2 bestehen. Viele Praktika im Bereich auswärtiger Kulturpolitik setzen gar nicht voraus, dass man Russisch perfekt beherrscht, verlangt werden aber meist Grundkenntnisse. Die lassen sich mit TRKI gut belegen. Als nächstes geht es aber erstmal wieder nach Frankreich, wo ich am Goethe-Institut in Lille ein Praktikum machen werde. Da erhoffe ich mir nochmal ein bisschen mehr Klarheit darüber zu bekommen, wie das konkrete Arbeiten in dem Bereich aussieht, um dann eine fundiertere Entscheidung zu treffen, wohin die Reise geht.
Interessant bei Ihnen ist, dass Sie sowohl einen „östlichen“ als auch einen „westlichen“ Weg verfolgen. Ob es am Ende Frankreich oder Russland wird ist noch gar nicht klar, oder?
Das ist tatsächlich noch nicht klar, vielleicht geht auch beides. Die deutsche Regierung plant in naher Zukunft gemeinsam mit dem französischen Kulturministerium deutsch-französische Kulturinstitute zu gründen, auch in Asien. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in Fragen der Kulturpolitik wird perspektivisch immer enger. Wenn wir über potentielle Traumjobs reden: Das wäre so einer!