Katrin Grünke
Russisch 2 (Online)
07.10.2021
Katrin Grünke ist Sinologin und Expertin für Deutsch als Fremdsprache. Sie arbeitet für das Goethe-Institut. Seit 2018 leitet sie den Bereich Sprachkurse und Prüfungen am Goethe-Institut in Moskau. Am LSI lernt sie Russisch berufsbegleitend im Online-Abendkurs.
„Russisch gibt mir den Mut, überall in Russland zu reisen und die Gewissheit, alles selbstständig bewältigen zu können.“
Frau Grünke, welcher Weg hat Sie nach Moskau geführt und wie sind Sie dabei auf das LSI aufmerksam geworden?
Durch meine Arbeit für das Goethe-Institut rotiere ich alle fünf bis sechs Jahre mit meiner Familie an Standorte im In- und Ausland. Ich bin jetzt seit etwa drei Jahren in Moskau, vorher war ich in Korea und in China. Um uns auf die Einsätze in den jeweiligen Ländern vorzubereiten, hat das Goethe-Institut ein eigenes Budget für die Fremdsprachenausbildung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viele unserer Vorbereitungskurse finden in Bochum statt. Vor der Pandemie gab es nur Präsenzkurse und ich hatte im Vorfeld meiner Entsendung nach Russland keine Zeit, an einem Intensivkurs teilzunehmen. Ich habe mir deshalb nach meiner Ankunft eine Sprachschule in Moskau gesucht, war aber mit der Methodik nicht so zufrieden. Als ich gesehen habe, dass das LSI Russisch in Online-Abendkursen anbietet, hat mich das sehr gefreut.
Sie sind jetzt seit drei Jahren in Moskau. Lernt man eine Fremdsprache wie Russisch automatisch, durch den täglichen Kontakt mit der Kultur, oder muss man sich aktiv darum bemühen?
Letzteres. Es gibt da keinen Automatismus, was man daran sieht, dass es überall Leute gibt, die schon sehr lange in einem Land leben und die Sprache dennoch nicht beherrschen. Die Sprachkurse sind deshalb wichtig für mich, trotz knapper Zeitressourcen. Das Onlineformat ist superpraktisch und spart viel Zeit. Durch die Russischkenntnisse, die ich mittlerweile habe, bin ich im Alltag selbstständiger geworden und muss meine Kolleginnen und Kollegen nicht mehr so oft um Hilfe bitten.
Wieviel Russisch braucht man, damit dieser Effekt spürbar wird?
Schon nach Russisch 1, also nach zehn Wochen Online-Abendkurs, habe ich mich getraut, selber eine Reise zu organisieren und konnte mich mit der Vermieterin der Datscha ein wenig unterhalten. Gerade was einfache Alltagssituationen betrifft, bereitet einen der Kurs gut darauf vor. Außerdem bekommt man ein Gefühl für bestimmte Grundmuster der russischen Sprache, was definitiv hilfreich ist.
Wie sah eine typische Woche während der Kursphasen für Sie aus? Die beiden Abendtermine mit der Lerngruppe per Zoom waren gesetzt - wie haben Sie darüber hinaus den Lernprozess für sich organisiert?
Die größte Herausforderung bestand darin, Beruf, Familie und Sprachkurs unter einen Hut zu bringen. Ich habe es mir so eingeteilt, dass ich die Hausaufgaben am Wochenende gemacht habe. Vokabellernen fällt mir generell nicht schwer, das hat es für mich leichter gemacht. Für die Grammatik habe ich unter anderem die Videos in der Lernplattform LSI.online genutzt. Der Rhythmus war gut, es war nicht zu viel und nicht zu wenig Stoff.
Wenn Sie die direkte Wahl gehabt hätten, das Gleiche in einem Präsenzkurs zu machen - für welches der beiden Formate hätten Sie sich entschieden, Online oder Präsenz?
Auf jeden Fall den Onlinekurs, weil ich da einfach viel Zeit spare und nicht irgendwo hinfahren muss. Was etwas zu kurz kommt, ist das Soziale. Wir hatten eigentlich eine sehr spannende Kursgruppe, mit Teilnehmern die u.a. aus Nigeria, der Schweiz und der Ukraine zugeschaltet waren. Im Onlineunterricht hat man leider nicht so viel Zeit für Smalltalk, das ist ein Nachteil.
Als Sinologin sprechen Sie, neben Deutsch und Englisch, auch Chinesisch fließend. Haben Sie eine generelle Affinität zu Fremdsprachen?
Ich denke schon. Russisch ist, nach Englisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch und Koreanisch meine sechste Fremdsprache und meine erste slawische Sprache - und natürlich ist es eine Weltsprache. Es ist toll, was man damit alles machen kann. Als ich in meinem ersten Jahr hier einmal nach Usbekistan gereist bin, konnte ich mit ein paar Wörtern Russisch schon ganz gut zurechtkommen. In post-sowjetischen Republiken ist Russisch immer noch so etwas wie eine Lingua Franca.
Stichwort Lingua Franca. Bei der Arbeit der Goethe-Institute spielt, neben kulturellen Aspekten, die Vermittlung der deutschen Sprache eine zentrale Rolle. Provokativ gefragt: Würde uns das Englische für die Gestaltung unserer internationalen Beziehungen nicht ausreichen?
Das sehen wir natürlich nicht so. Als Goethe-Institut übernehmen wir einige Aufgaben des Auswärtigen Amtes, insbesondere die Förderung des Kulturaustausches und die Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Wir sagen immer: „Englisch ist ein Muss, Deutsch ist ein Plus!“ Um in Deutschland studieren oder arbeiten zu können, sind gute Deutschkenntnisse schon sehr vorteilhaft, wenn nicht sogar zwingend notwendig. Umgekehrt kann ich sagen, in Russland käme man mit Englisch auf Dauer auch nicht weit, insbesondere nicht außerhalb von Moskau.
Mit anderen Worten: Wenn Sie die Russischkenntnisse auf Ihrem Level nicht hätten, was würde Ihnen fehlen?
Der Mut überall in Russland zu reisen und die Gewissheit, das alles selbständig bewältigen zu können. Umso weiter man sich aus Moskau entfernt, umso wichtiger wird das Russische. Im August werde ich nach Ана́па reisen und muss die ganze Organisation auf Russisch machen, da spricht niemand Englisch. Bei der Kommunikation per Mail oder Chat kann man im Zweifelsfall auch Hilfsmittel wie Google-Translate hinzuziehen, allerdings finde ich es wichtig, beurteilen zu können, was mir da an Hilfestellung angeboten wird.
Die Vorstellung, man könnte durch Russland laufen, in sein Smartphone sprechen und mithilfe einer Universalübersetzer-App würden einen alle Russen schon richtig verstehen…
…ist abwegig, weil man überhaupt nicht einschätzen kann, was da passiert. Man bekommt auf diese Weise ja auch keinen guten Kontakt zu den Menschen. Seitdem ich Russisch lerne und manchmal die Hausaufgaben meinen russischen Kolleg*innen schicke, bekomme ich hin und wieder Geschenke, kleine Bücher oder russische Spezialitäten, das war am Anfang nicht so. Diese persönlichen Beziehungen kann keine App für mich herstellen.
Interview: Jörg Siegeler